Was bedeuten die Wörter „Grad“, „gerade“, „grad“, „Gerade“ und „Grat“?
- Ich esse grade.
- Wir sind besonders gradlinig.
- Wir laufen auf einer Graden.
- Sie machten eine
Gradwanderung.
- Ich esse gerade.
- Wir sind besonders geradlinig.
- Wir laufen auf einer Geraden.
- Sie machten eine Gratwanderung bei elf Grad.
„Gerad“, „grade“, „gerade“ – welche Schreibweise stimmt?
Wenn ich Sie frage, was Sie gerade eben gemacht haben, finden wir zwei sehr interessante Wörtchen in diesem Satz: gerade und eben. Normalerweise handelt es sich dabei um Adjektive (Eigenschaftswörter), in diesem Beispiel sind es aber Adverbien (Umstandswörter) und werden typischerweise zusammen verwendet.
In diesem Artikel widmen wir uns aber nur gerade, denn das Wort scheint es gleich in mehreren Ausführungen zu geben:
Ich lese gerade einen Blogartikel.
Ich lerne grade etwas über die deutsche Sprache.
Ich versuche grad, sehr ähnliche Wörter auseinanderzuhalten.
Als wäre der Unterschied zwischen Umgangssprache und Standardsprache nicht schon kompliziert genug, ähnelt gerade ebenfalls den Nomen Grad, Grat und – zweifelsohne – Gerade.
Was bedeuten „gerade“ und „Gerade“?
Beginnen wir beim facettenreichen Ausgangswort: gerade. Dieses kann nicht nur verschiedenen Wortarten zugeordnet werden, sondern auch mehrere Bedeutungen tragen:
1) Gerade ist ein Adjektiv.
1. „nicht krumm, nicht gebogen“
Kannst du keine gerade Linie zeichnen?
2. „aufrichtig, ehrlich“
Sie ist ein sehr gerader Mensch.
3. „genau, exakt“
Du bist das gerade Gegenteil von ordentlich!
4. „ohne Rest durch zwei teilbar“
An welche gerade Zahl denkst du?
2) Gerade ist ein Adverb.
1. „soeben, rasch, momentan“
Kannst du gerade herkommen?
2. „direkt, unmittelbar“
Der nächste Automat ist gerade um die Ecke.
3. „erst recht“
Gerade jetzt frage ich mal nach!
4. „genug, knapp“
Wir hatten gerade genug, um alle satt zu werden.
3) Gerade ist eine Partikel (ein Kommunikationswort).
1. schwächt eine Verneinung ab
Du bist nicht gerade dumm, oder?
2. drückt eine Verstimmung aus, ähnlich zu ausgerechnet
Gerade er wurde nun befördert.
3. wirkt verstärkend
Gerade Hunde benötigen sehr viel Aufmerksamkeit.
Ausgehend von dem Adjektiv, können wir eine Gerade in vielen Kontexten finden. Grammatikalisch gesehen, handelt es sich um eine Nominalisierung des Adjektivs, womit sich die Großschreibung erklärt.
- Kontext Geometrie: „eine gerade Linie“
Zwei Parallelen sind stets Geraden.
- Kontext Boxsport: „ein gerader Schlag“
Besonders die rechte Gerade eben hat gesessen!
- Kontext Leichtathletik: „eine gerade Rennstrecke“
Laufe auf dieser Geraden nun für 500 Meter.
Was heißen „Grad“, „Grade“ und „Grat“?
Machen wir weiter mit drei Nomen (Hauptwörtern), die oft verwechselt werden: Grad und Grade sind Singular- und Pluralformen desselben Wortes. Grat ist ein Homofon zu Grad, d. h., sie klingen trotz unterschiedlicher Schreibweise identisch.
Grad (und Grade) kann folgende Bedeutungen tragen.
- Abstufung
- Rang
- Potenz (Mathematik)
- Temperatur
- Maß für Winkel
- Maß für Längen- und Breitengrade
In den meisten fachsprachlichen Fällen finden wir das Grad – statt der Grad – und die gängige Abkürzung mit dem Gradsymbol (°).
Wir beobachten einen hohen Grad an Verschmutzung, besonders in den Regionen ab 51 Grad nördlicher Breite.
Meine Cousine zweiten Grades gab an, dass es gestern 45 °C im Schatten war!
Wie war das noch gleich mit den 90-Grad-Winkeln und dem Satz des Pythagoras?
Grat hingegen meint entweder einen (metaphorischen) Bergrücken, die Schnittlinie zweier Dachflächen oder eine scharfe Kante eines Werkstoffs sowie Textils.
Es ist nur ein schmaler Grat zwischen ehrlich und gemein.
Wollen wir den Grat des Berges entlangwandern?
Der Grat des gegossenen Bauteils ist sehr scharfkantig!
Grat steckt auch in zwei häufig falsch geschriebenen Ausdrücken:
Rückgrat (nicht Rückrad oder Rückgrad)
Gratwanderung (nicht Gradwanderung)
LanguageTool weist mich bei solchen schwierigen Wortpaaren auf die korrekte Form hin. Der mehrsprachige Schreibassistent ist für viele Browser und Programme kostenlos erhältlich und kann jeden noch so gut versteckten Flüchtigkeitsfehler finden:
Wann benutzen wir „grade“, „grad“ und „gerad“?
Nachdem wir nun wissen, dass es sich bei gerade, Grad und Grat um drei vollkommen unterschiedliche Wörter – mit jeweils vielen Bedeutungen – handelt, kommt nun die Umgangssprache ins Spiel.
Alle oben gezeigten Kontexte lassen zu, dass wir grad und grade als umgangssprachliche Varianten für gerade verwenden. Beide Wörter können also in insgesamt vierzehn verschiedenen Fällen vorkommen. Das umfasst ebenfalls die Beispiele der Nominalisierung.
Kannst du keine grade Linie zeichnen?
Kannst du grade/grad herkommen?
Du bist nicht grade/grad dumm, oder?
Laufe auf dieser Graden nun für 500 Meter.
Während grade seine Endung als Adjektiv und Nomen anpasst und es daher in allen Fällen vorkommen kann, finden wir die Alternative grad nur als Adverb und Partikel. Diese Wortarten werden nämlich nicht dekliniert (gebeugt).
Grad, Grade und Grat können niemals durch eine umgangssprachliche Form ersetzt werden. Und noch ein Hinweis: Die Abkürzung grad. steht für „graduiert“.
Gerad’ wird oft in der gesprochenen Sprache verwendet, um gerade anders abzukürzen. Schriftsprachlich ist diese Form nicht nur unschön, sondern falsch (außerhalb von niedergeschriebenen Dialogen).
Zusätzlich finden wir die folgende mehrteilige Wortbildung bei Begriffen, die sowohl „gerad-“ als auch „grad-“ als Präfixe (Vorsilben) haben können.
„Gerad-“ | „Grad-“ |
---|---|
geradlinig | gradlinig |
geradsinnig | gradsinnig |
geradzahlig | gradzahlig |
geradeaus | gradeaus |
geradeheraus | gradeheraus |
Geradlinigkeit | Gradlinigkeit |
Geradheit | Gradheit |
Wir empfehlen auch hier, immer die Variante mit „gerad-/Gerad-“ zu verwenden.
Stil/Wortart | Adjektiv | Adverb | Partikel | Nomen |
---|---|---|---|---|
Standard- sprache |
gerade (-r, -s, -n, -m) |
gerade | die Gerade(-n) | |
Umgangs- sprache |
grade (-r, -s, -n, -m) |
grade/grad | die Grade(-n) | |
Standard- sprache |
der/das Grad – die Grade |
|||
der Grat – die Grate |